Sternmut Literatur

Ein Krimi der Extraklasse
Alfred Büngen / Geest Verlag
7. Februar 2000

 

'MARLIES'
„Wissen Sie", erklärt Sternmuts zentrale Person des erfolgslosen Schriftstellers dem Kriminalinspektor zu Beginn des Romans, „ich versuche gerade eine Geschichte zu schreiben, eine Art Kriminalstory, die aber die philosophischen Aspekte des Lebens behandeln soll." Der Leser richtet sich so auf ein interessantes, vielschichtiges Geschehen ein, Spannung mit philosophischem Hintergrund, die bürgerliche Lesefassade scheint wieder von Rissen verschont zu bleiben. Spätestens seit Dürrenmatt darf ja auch der intellektuelle Leser sich den Niederungen des Kriminalromans nähern. Wir richten uns auf ein vielschichtiges Geschehen ein, werden auch keinesfalls enttäuscht. Der Geliebte der Freundin des arbeitslosen Schriftstellers wird in einem Park ermordet. Für den erfolglosen Schriftsteller Motiv oder Anlaß, eine Landschaft der Gefühle eines komplizierten Beziehungsgeflechtes in einem Roman auszubreiten. Die immer wieder neuen Kapitel seines vielleicht den Durchbruch bringenden Erfolgsromans liest er dem Kriminalinspektor jeweils vor. Keine menschliche Niederung, kein Verlangen wird ausgelassen zur Erklärung, legt die Schlinge des Verdachts sich zudem immer enger um den Schriftsteller. Schließlich ein zweiter Mord, die Ehefrau des Ermordeten, die kurz zuvor noch ein leidenschaftliches Verhältnis mit dem Schriftsteller einging, wird zerstückelt genau an der Stelle des Parks aufgefunden, an der ihr Mann ermordet wurde. Anfängliche hinweise des Schriftstellers scheinen sich uns zu verdeutlichen: Der Roman wird zum „absurden Theater zwischen Versuch und Irrtum", wird „eine politische Geschichte über den Aufstieg eines Menschen, der zuletzt noch seine Menschlichkeit eingebüßt hat? Zeigt das nicht eine Epoche, die innere Befindlichkeit einer Kultur, die zentrale Aussteuerung aller moralischen Bedenken?" Der Schriftsteller, so die Lesevermutung, versucht die Fiktion in die Wirklichkeit umzusetzen, so die Abgründe des menschlichen Daseins zu erforschen. Die anfängliche Aufgabenteilung - „ Ich bin der Schriftsteller, sie der Inspektor. Ich bin für die Dichtung zuständig, sie für die Wahrheit" - bekommt nun mehr als gefährliche Risse. Fiktion und Realität beginnen sich zu verwischen. Anfängliche Einwürfe des Schriftstellers hinterlassen beim Leser bereits bedenkliche Fragen. „Ich gebe zu Inspektor. Sie verschwinden, wie diese Geschichte verschwindet. Nichts wird bleiben, weil alles erfunden ist. Ich bin erfunden. Sie sind erfunden." Aber wenn diese Story und ihre fesselnde Einbindung erfunden wurde, die Grenzen sich zwischen Realität und Fiktion so verwischen, ja dann ist unter Umständen auch der Leser nichts anderes als gekonnte Konstruktion, der Leser ein Konstrukt fiktionaler Werte und Gefühle, in deren Fängen er sich durch den Schriftsteller verstricken läßt. Werte und Gefühle, die nicht länger das Ergebnis moralphilosophischer Diskussionen sind. „Gut ist, was Einschaltquoten erreicht. Die Zeit der Ethik ist vorbei, der moralischen Philosophie." Die Fiktion des Romans löst sich im individuell - gesellschaftlichem Scheitern, in der fiktionalen Desillusionierung auf. Schon langt Sternmut bei den Positionen eines Peter Handkes an, den er selber als Handlungsintention in den Roman einbringt. Die systematische Zerstörung der Klischeevorstellungen der Wahrnehmung von Realität angesichts eines zunehmenden Lebens und Erlebens in der Fiktion inszenierter Fernsehwirklichkeiten gelingt Sternmut mit geradezu atemberaubender Dramaturgie und Sprachgewandtheit. Natürlich bindet die Fiktionalität einer ausschließlich profitorientierten Unterhaltungs- auch Buchindustrie ihre trug- und Scheinbilder an elementarste Gefühle des Lesers, des Zuschauers. Der Autor Sternmut läßt den Schriftsteller dies unter anderem an der Person der Marlies verdeutlichen, die - Lektorin, Mutter von zwei Kindern, Ehefrau des Ermordeten, erfolgshungrig und von einer leidenschaftlichen Sexualität besessen - in der fiktionalen Kriminalstory eine Beziehung zu dem Schriftsteller eingeht. „Aber ich kannte nie eine Marlies. Es ist eine Art Wahn. Wir sind nur die Figuren im Spiel der Kräfte, der Natur, der Gesetze, spielen eine Rolle, die uns vorgegeben ist, wir Handlanger der Liebe, weil wir uns stets vereinigen wollen, immer wieder und immer wieder neu." Und so, wie der Autor seine Figuren, etwa den Inspektor, aus einer fiktiven Welt verschwinden läßt, so werden wir auch als Leser ‚mißhandelt'. Unsere Gefühle werden als Spielelemente fiktionaler Handlung entlarvt, wir sind Teil jener von Sternmut inszenierten Illusion, jener Inszenierung einer Kriminalstory. Und die Zerstörung der Illusion, sei es durch Handkes Publikumsbeschimpfung oder Sternmuts kriminalistische Desillusionierung, führt zur Hoffnung des Autoren: „Wir wollen keine Marionetten, keine Figuren einer angelegten Geschichte sein, wollen heraustreten aus unserem Dunkel, wollen selbst bestimmen, wollen nicht unserem eigenen Verschwinden folgen."
Doch kann eine solche individualistische Hoffnung auf Realitätsgestaltung/ - bewältigung gelingen? Am Ende des Romans tötet die Fiktion des Schriftsteller. Vorher blieb ihm nichts anderes als die resignierende Feststellung: „Ich beschreibe noch die Vergewaltigung der Seele, wie sie in en Himmel blutet, aber möglichst in kurzen Sätzen." Sternmut, ein Autor, den sich, wer ihn noch nicht kennen sollte, unbedingt merken sollte. Denn die Gilde jener Autoren, die sich noch daran versuchen, über die Inszenierungen der „Vergewaltigungen der Seele" zu reflektieren, ist in der deutschen Literaturszene mehr als dünn geworden, zumal dann, wenn es noch in einer solchen sprachlichen und dramaturgischen Klasse geschieht.

 


 

Rezension zu „Absolut, Du“
Gedichte Edition Thaleia von KULIMU – Zeitschrift für Kunst&Literatur&Musik
Dr. Jürgen Hachmann


Leibhaftige Poesie
Norbert Sternmut gehört ohne Zweifel zu den begabtesten Lyrikern der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Sein sprachlicher wie inhaltlicher Einfallsreichtum ist schlicht erstaunlich.
Das beweist auch sein Gedichtband „Absolut, Du“. Sternmuts Lyrik berührt den Leser nicht nur, sie rückt ihm buchstäblich auf den Leib.
In seinen Gedichten entfaltet Sternmut einen unübersehbar beziehungsreichen „Hexensabbat“ der Vergänglichkeit, in dem Dinge und Menschen einander erhellend und verdunkelnd, gleichermaßen zu reden beginnen. Wie „Geist“ und „Materie“, so vertauschen auch „Ferne“ und „Nähe“ ihre überkommenen „Selbstverständlichkeiten“ und werden füreinander durchlässig auf eine opake Faktizität hin, die Bestimmbarkeit überhaupt als unvordenkliche Beschränkung „zeigt“.
Das alles geht sicher „Über den Verstand“. Aber darin, dass es Sternmut gelungen ist, „den Austausch/ der Klopfzeichen/ auf die Nullinie“ mit geradezu materieller Intensität zu präsentieren, liegt sicher eines der wesentlichen Verdienste seiner Lyrik, die damit beispielhaft Czeslaw Miloszs These bestätigt, dass man die Möglichkeit der Philosophie in der Wirklichkeit der Lyrik realisiert finden kann.
Jürgen HachmannRezension in „KULIMU“ – Zeitschrift für Kunst&Literatur&Musik
von Jürgen Hachmann



 

Norbert Sternmut: Nachtlichter. Pop: 2010
Rezension Kunst&Literatur&Musik
Dr. Jürgen Hachmann

 

Im Irrsinn der Tage

 

Norbert Sternmuts neuester gedichtband führt vorwiegend die apokalyptische thematik seiner früheren
Lyrik fort und bildet darüber hinaus zugleich einen summarischen höhepunkt seines bisherigen lyrischen
schaffens. Die geballte sinnlichkeit immer wieder überraschender, verschiedenartigstes zusammen-
zwingender komposita erscheint nun konzentrierter, da es dem autor hier überzeugend gelungen ist, den
in früheren arbeiten manchmal leerlaufenden schutt quasibarocker obsessionsarabesken entscheidend
zu reduzieren und zu bändigen. Vom cartesischen ego bleibt bei Sternmut auch in „Nachtlichter“ nur
leere alternativlosigkeit. Indem das bewusstsein um die letalität aller verhältnisse selbstbetroffen weiss,
tritt es „abgewrackt“ auf: sein wird zum oszillierenden „n(ich)t“, das es als ideologisch überkommenen
spiegel sprengt und mit ihm seine Welt. Die unglaublich leuchtende präsenz der in diesem band
enthaltenen gedichte verdankt sich derart einer untrennbar mit ihr verbundenen nacht, welche die
wesentlich-wesenlose „Enthüllung durch die Abwesenheit, den Verlust und das zerstobene Jenseits“
(Maurice Blanchot) erst ermöglicht. Durch ein für den autor charakterisches ineinander von erotik,
erkenntnis-, individual- und gesellschaftskritik gelingt es den gedichten, eine höchst eindrucksvolle
befindlichkeitsszenerie zu gestalten, die man wohl mit den Worten Max Hölzers u.a. als „Land das in
tausendfacher Erektion / der Geduld spottet – .Antwortloses“ zutreffend charakterisieren kann. Erst wer
Merlins kräfte und noch viel mehr ersehnt, erleidet, dass er sie nicht hat. Gegenüber allem
„maschinenpuritanismus“ (Ernst Fuchs) und seinen vielen, derzeit modischen ideologemen erscheint so
gerade das `abgewrackte bewusstsein`, das sich mehr als bloss hegelianisch aushält, als das
umfassendere, z.b. auch im spott über das szientistische nichtdenken der hirnforschung: „Dort die
Ameisenstraße: das menschliche / Gehirn, es forscht / Über sich selbst, will wissen / Sich zeigen / Als es
Selbst, in Patagonien…“ Sternmut ist mit seinem neuesten gedichtband ein literarischer wurf von
hervorragender qualität gelungen. Man kann nur hoffen, dass dieses werk seinem rang entsprechend
aufgenommen und seinem autor die zudem längst überfällige anerkennung für seine künstlerischen
leistungen endlich zugestand wird.
HCH
Norbert Sternmut: Nachtlichter: Pop 2010

 


 

Rezension in „KULIMU“ – Zeitschrift für Kunst&Literatur&Musik
von Dr. Jürgen Hachmann

Norbert Sternmut: Wildwechselzeit. Tagebuch einer Beziehung. Wiesenburg 2011


Ich bin durchaus ein Kunstprodukt

 

In seiner neuesten publikation versucht Norbert Sternmut, sich selbst und damit seinem bisherigen
werk kritisch auf die spur zu kommen, um sich derart zugleich weitere lebens- und literaturperspektiven
zu erschließen. Das hier in tagebuchform abgefasste, dem anspruch nach „therapeutische schreiben“
erweist sich bei näherem hinsehen als eine auktoriale selbstinszenierung, deren vielfach theatralisch
auftretende identitätssuche triviales mit intellektuellem mischt und dabei vor blossen dampfplaudereien
nicht zurückschreckt. Stofflich wie stilistisch wiederholt Sternmut vorrangig elemente der in seinen
romanen praktizierten diktion, die er jedoch andererseits als eine zwanghafte „Art inneren Weltverwurstung“ pauschal diskreditiert. Der in diesem „Tagebuch einer (Selbst-)Beziehung“ vielfach
beschworene aufbruch zu neuen ufern bleibt somit schon durch seine performative
selbstwidersprüchlichkeit bloss programm, bei dem noch nicht klar ist, worauf „es“ eigentlich hinauswill.
Michel Houellebecq, ein in vielem geistesverwandter Sternmuts, hat mit „Karte und Gebiet“ erst kürzlich
einen roman vorgelegt, in dem er dadurch provoziert, dass er nicht in gewohnter manier provoziert.
Vielleicht gelingt Sternmut in zukunft ähnliches, das potential dazu hätte er.
HCH
Norbert Sternmut: Wildwechselzeit. Tagebuch einer Beziehung. Schweinfurt: Wiesenburg Verlag 2011

 


 

Rezension in „KULT, (10/99) MAGAZYN FYR NETZWERK-POESY
5. Jahrgang, Goldbach 1999
ISSN 0944-2162
von Karlyce Schrybr


Norbert Sternmut: Der Tote im Park, Roman, Wiesenburg Verlag, 1999


SCHRIFTSTELLERISCHER MORD
So ähnlich undurchsichtig hat man sich das schon immer gewünscht. Der Erzähler & Protagonist zugleich findet eine Leiche im Park & bemerkt zum Inspektor: „Es geschieht wenig genug, was eine Geschichte lohnt.“ In der Methode des inneren Monologs hangelt sich der auktoriale Erzähler von Exkurs zu Aberration & muß sich immer wieder zum roten Faden zurückzwingen. Dabei ist es eine Geschichte in der Geschichte, wenn er Erzähler gesteht: „Ich versuche gerade eine Geschichte zu schreiben, eine Art Kriminalstory, die aber die philosophischen Aspekte des Lebens mit beinhalten soll.“ So überdeutlich bräuchte es uns Sternmut bei aller zugestandenen Selbstironie eigentlich nicht zu sagen. Dieser erfolglose Schriftsteller findet in dem offensichtlich überforderten Inspektor einen dankbaren Zuhörer, da sich dieser wohl aus dem Romanmanuskript eine Aufklärung des Mordfalls, also quasi ein Geständnis, erhofft. Dabei suggeriert ihm der Erzähler, daß er auch nur eine Figur in seinem Roman sei, der er auf keinen Fall ein Geständnis ablegen werde. Die Assoziationen galoppieren, der Erzähler kokettiert damit, ein Psychopath zu sein. Außerdem erleben wir ihn als sexualsüchtig & hyperemotional. Makabrerweise bietet die Lektorin, die behauptet, er habe ihren Mann ermordet, einen Kuhhandel an: er („gefühlskranker Schreiber“) solle sich der Polizei stellen, dann werde sie sein Manuskript („triebgesteuerter Seelenmüll“) auch gegen ihre Überzeugung veröffentlichen: „Irgendwann werden sie aus dem Gefängnis zurückkehren und ein gemachter Mann sein.“ Die beiden tun sich (wie man lapidar sagt) zusammen – sexuell & geschäftlich („Susanne versteht mich. Und sie versteht etwas von Literatur.“) - & die Jünger der PPM können (v.a. im 3. Kapitel) bei Sternmut lernen, wie man auch heutzutage praktizierten Sex stimmungsvoll beschreiben kann. Als die ehemalige Geliebte Marlies zurückkehren will, lehnt der Erzähler ab, weil er die Geschichte schon anders geschrieben habe – Fiktion & Realität vermengen sich vielschichtig-raffiniert. Schließlich wird die Lektorin zerstückelt im Park aufgefunden. Das Vierecksverhältnis ist aufgelöst. Marlies kehrt noch einmal für einen GV zum Erzähler zurück. Er beschuldigt sie im letzten Kapitel beider Morde.
Schließlich wartet der Erzähler darauf von Marlies getötet zu werden: „Wie lange soll ich den Leser noch hinhalten? (…) Jetzt geht die Geschichte `Der Tote im Park` zu Ende. Es klingelt!“
Das Ende ist wahnwitzig, das ganze Buch ein Assoziationstaumel durch verschiedene Ebenen, in die auch der Leser mit integriert wird. Sternmut hat ein zweifelsohne spannendes Buch vorgelegt – fraglich bleibt nur die Zielgruppe: für Krimiliebhaber ist es in seinem Anspruch zu literarisch für Literaturliebhaber sind leider noch zu viele banale Schlacken darin enthalten; auch könnte man auf einige (so beliebt authentische) Niveauentgleisungen verzichten. Aber: der Krimiliterat Dürrenmatt läßt von ferne grüßen! Und für den Lyriker Sternmut hat sich die prosaische Erprobung seiner Fähigkeiten gelohnt.
KHS

 



Rezension in „DIE BRÜCKE – FORUM FÜR ANTIRASSISTISCHE POLITIK UND KULTUR“ – Herausgeber: DIE BRÜCKE e.V. – Verein zur Förderung politischer und kultureller Verständigung zwischen Mitbürgern deutscher und ausländischer Herkunft.
von Karl-Heinz Schreiber


Norbert Sternmut: Spiegelschrift. Pop Verlag, 2011.
Die Erotik der Absurdität


In seinem Buch „Wildwechselzeit“ kündigte Sternmut bereits das vorliegende Werk an: „Einen weiteren Gedichtband wird es schon geben. (…) Und wie wird der neue Gedichtband lauten? Spiegeltanz, Spurwechsel?“ Nun `Spiegelschrift` ist es geworden. Und da heißt es ganz erschreckend: „Hier der Abfall, mein Hirn, / Es denkt, hier / Fließen die Eindrücke, / Sammelt sich die Entscheidung.“ Das klingt schon so etwas wie eine Essenz aus der „Wildwechselzeit“. Auch wenn es in einem anderen Text heißt: „Unweit von mir selbst, wahngedoppelt“, mag es einem scheinen, als liefere Sternmut mit diesen Gedichten einen Nachklapp. Denn da findet sich das lyrische Ich: Eingedunkelt in den Denkschatten, /Was wirklich ist, beschattet / Das Bewusstsein darunter, / Abgekoppelt, eingetrübt.“ Da macht sich die heftige Sorge breit: „Es wird Zeit /die inneren Welten zu ordnen, kommt, /Kommt zusammen.“ Wie es schon in dem Tagebuch anklang: keiner kann den Seinssinn für sich alleine finden.
Das lyrische Ich setzt sich mit der Absurdität auseinander, solidarisiert sich selbstverständlich mit Sisyphos und bekennt trotzig: „Sinnauswärts stehe ich bereit.“ Und es scheint bei Sternmut geradezu so etwas wie eine Erotik der Absurdität zu geben, denn da halten ihn einerseits „Beinschlingen“ im Diesseits, andererseits gelangt er durch die „Wildwechselzeit“ (!) durch einen Kuß als „Hormonschub ins Jenseits.“ Immer ist da der Blick nach Innen, das Greifen nach der Geliebten und der Blick in die restliche Welt.
Vielleicht ist es ja auch eine große Sehnsucht, die aus den Zeilen spricht, und der stetige Versuch, die Schwermut zu vermeiden. Denn das lyrische Ich wohnt „im Vorgrab / Unbegreiflich in Sprachhöhlen“ und ist gar „Ins Wortlose, unterwegs.“ Das wäre dann freilich der putative Suizid eines Sprach-Künstlers, der die Welt nur in Worten „spiegeln“ kann. Und wenn es tatsächlich zu einer „Wortsprengung“ käme, wie wollten wir dann den letzten Wunsch des Dichters erfüllen: „Sprecht mit mir.“ Ach, lesen wir ihn zunächst.
Karl-Heinz SchreiberRezension „Strahlensatz“ - Pop-Verlag, Ludwigsburg

 



Zyklische Bauweise, lyrisch – von Malwine Markel

 

Norbert Sternmut, wurde 1958 in Stuttgart geboren, und musste früh erfahren mit dem Tod umzugehen. Denn als er elf Jahre alt war verstarb sein Vater. Seine Kindheit und Jugend waren mit Entbehrungen gespickt, und die Bestimmung zum Künstler kam erst spät. Sternmut erlebte selber einen harten Schicksalsschlag als er an Krebs erkrankte und diesen überstand. Seine Werke leben von dieser schweren Erfahrung. Heute lebt er in Ludwigsburg und gilt als einer der begabtesten Lyriker der deutschen Gegenwartsliteratur. Bei seinem neuen Lyrikband „Strahlensatz“ hat sich der Dichter Sternmut an eine neue lyrische Art herangewagt: die Zyklische Bauweise. Zudem hat er seinen Gedichtband in drei Teile eingeteilt: Liebend, Zyklus, Sterbend. Drei Hauptteile die den Kernpunkt „Strahl“ haben. Die zwei Bereiche „Liebend“ und „Sterbend“ sind Schwerpunkte des Lebens. Punkte die unser Leben immer wieder streifen, uns immer wieder begegnen, auch in unvorbereiteten Situationen.
Die Liebe hat so viele Gesichter. In „Strahlensatz“ hat Sternmut der Liebe gleich den Vortritt gelassen. Romantisch kommt sie daher, erotisch und herzenswarm. Die Erotik hat viel Aufmerksamkeit bekommen in diesem Band. Am Ende des Gedichtes gibt es einen leichten Schwenker bevor die Erotik zum Vorschein kommt. Bei der Romantik ist es anders. Da wird der Leser gleich zu Beginn mitgenommen, so wie bei den beiden Gedichten „Sommerhaut“ und „Eins“. Herzenswärme oder auch die reifere Liebe hat ihren Auftritt in den Gedichten „Meer, Licht“, oder „Hingabe“ und „Tiefgang“. In „Tiefgang“ beschreibt Sternmut die Reife der Liebe und der Liebenden die sich schon seit vielen Jahren kennen ein Paar sind, und miteinander leben.
Bei der zyklischen Bauweise kann es im Idealfall sein, das alle Gedichte des Zyklus um eine bestimmbare Mitte kreisen, die in jedem Teil des Ganzen präsent ist. Oder die bestimmbare Mitte lässt sich nur aus dem ganzen Zyklus heraus bestimmen. Der literarische Zyklus in dieser Form wie bei Sternmut kommt selten vor. Am bekanntesten dürfte im literarischen Bereich der Romanzyklus sein. Die häufigsten Vertreter sind Zyklen, die aus drei Teilen bestehen und daher Trilogie genannt werden. Beim Gedichtband „Strahlensatz“ kann man von einer zyklischen Bauweise sprechen, denn die bestimmbare Mitte lässt sich nur aus dem ganzen Zyklus heraus bestimmen. Sternmut hat sich in seinem Lyrikband „Strahlensatz“ beim Teil II „Zyklus“ darauf besonnen das sich die bestimmbare Mitte in seinen Gedichten, die ohne Titel auskommen, nur aus dem ganzen Zyklus heraus deuten lässt. Es ist eine Variation ein Thema, oder brisantes Thema dar zustellen. Im Teil „Zyklus“ hat Sternmut den Titel des Bandes „Strahlensatz“ in emotionale, traurige, teils negative aber auch knallharte Worte gefasst. Gleich zu Beginn ist der Einstieg wie ein Knall. Es entsteht das Bild der Verwüstung und der Kreislauf nimmt stillschweigend seinen Lauf, bis spärliches Leben wieder entsteht. „das wortlose Gras wächst heran“, heißt es im Text Seite 63. Diesen schnellen atemlosen „Zyklus durchzieht wie ein roter Faden das Wort „Strahl“. Und so schafft es Sternmut den Leser mitten ins Geschehen, in die Verwüstung, die sinnlose Zerstörung und ohnmächtige Ungewissheit zu stellen. Mitten in den Krieg, auf ein Schlachtfeld. „Zyklus“ ist auch eine Auseinandersetzung mit dem Krieg, und mit der jetzigen politischen Lage in der Welt und um uns herum. Am Ende spürt der Leser das Kraftlose, das Erleichtern und einen vagen Neubeginn. So auf Seite 92 wo das Wort „Schotter.“ ganz alleine dasteht, nur für sich. Und Seite 96 wo drei Wörter da stehen „Schotter und Kies“, die den kleinen unsicheren Neubeginn darstellen.
Dem Kapitel „Sterbend hat Sternmut viele verschiedene Seiten abgewonnen. Ob er nun das Ankommen ins Jenseits beschreibt, oder das Nahen des Todes, und die letzten Wünsche und Gedanken des Sterbenden sich zu versöhnen, aussöhnen, oder das Verwesen des Körpers. Mit seiner Begabung Wörter zusammen zu führen hat er diese Seite des Sterbens etwas milder beschrieben. Aber wir finden auch die Seite des „Sterbens“ welche die Seele betrifft. Wie im Gedicht „Treibeis“. Es ist ein Gedicht über die Wunden der Seele, wie sie sich ihren Weg bahnen durch unsere Seele und unsere Gefühle, Narben hinterlassen oder gar vereisen und tiefer sinken, „in tiefere Schichten“. Was Sternmut nicht außer Acht lässt in diesem Kapitel ist das Flüchtlingsthema. Nämlich das Sterben der Flüchtlinge auf den überfüllten Booten, in gleißender Sonne. Und in „Mandelkern“ findet der Leser einen Hinweis auf die jetzige politische Lage und auf die letzten 60, 70 Jahre. Mit wenigen Worten bringt der Dichter dies zum Ausdruck. Und das Gedicht „Tagfalter“ kann man auch mit Brechts „An die Nachgeborenen“ vergleichen, es transportiert den gleichen Sinn. Das Wort „Strahlensatz“ finden wir im Gedicht mit dem gleichnamigen Namen auf Seite 143. Aber „Leitstrahl“, „Strahl“, „Strahlengang“ oder „Strahlensätze“ finden wir auch in anderen Gedichten. Die Assoziation zum Titel ist da. Schön zu bemerken das das Cover auch seinen Platz findet. Im Gedicht „Zeitfenster“ wird es am besten beschrieben. Die Innenwelt und die Außenwelt des Bandes bilden eine Symbiose, eine geschlossene Einheit, ein Ganzes.
Dieser Gedichtband erscheint mir irgendwie anders wie die anderen, freier, stimmiger, tiefer, wärmer. Und trotzdem ist der Stil Sternmuts unverkennbar da. Es hat den Anschein als ob der Autor mit sich im Reinen wäre. Man möchte fast sagen reifer und angekommen im Leben. Obwohl der Teil II „Zyklus“ an manchen Stellen sehr barsch klingt. Ein Gedichtband in dem man gerne schmökert.

 



Rezension in „DIE BRÜCKE – FORUM FÜR ANTIRASSISTISCHE POLITIK UND KULTUR“ – Herausgeber: DIE BRÜCKE e.V. – Verein zur Förderung politischer und kultureller Verständigung zwischen Mitbürgern deutscher und ausländischer Herkunft.
ISSN 0931-9514 / September-Dezember 2011
von Karlyce Schrybr


Norbert Sternmut: Wildwechselzeit. Wiesenburg Verlag, 2011.
Unbesinnliche Besinnungsarbeit


Fiktiv oder nicht, eine Frage, wie sie der Klappentext aufwirft, ist doch eigentlich unter dem Niveau dieses Buches. Hier wird Schwerstarbeit geleistet über einen „Prozeß ins Bewußtsein“, der mit scheinbar lockerer Hand in einer Art Tagebuchform protokolliert wird. Und wir als Leser werden quasi mit einbezogen in eine Realitätstherapie. Ich muß mich als Rezensent hier gleich einmal outen: ich war von Anfang an einer der Kritiker, denen sich Sternmut anvertrauen wollte. Er hat mich nie enttäuscht, es war immer den Aufwand wert, seine Texte zu lesen – aber dies hier ist sein bestes Buch, sein ehrlichstes, sein persönlichstes. Und obwohl er ja noch verhältnismäßig „jung“ ist (Jg. 1958), scheint er einem Trend zu folgen, den einige bekannte Literaten (etwa Christa Wolf oder Günter Grass) bereits vorgezeichnet haben: man schreibt jetzt Bücher, deren Genre nicht mehr eindeutig zu klassifizieren ist: Roman? Reflexion? Bekenntnisliteratur eben, die hat übrigens Tradition mindestens seit der Aufklärung. Eine Mischung aus `Sentimental Journey` und `Sapere aude` oder gar ein Wiederauflebenlassen der Innerlichkeitsliteratur der 1960er/1970er?!
Sternmut tut hier etwas, was ich besonders mag: er integriert Zitate bekannter Kulturschaffender, Intellektueller und Autoren. Damit ordnet man sich quasi selbst in eine Reihe Gleichgesinnter. Das Buch wendet sich gegen „die Angst vor sich selbst“, es dokumentiert die „stetige Suche nach der eigenen Innerlichkeit“ und bringt zum Ausdruck: „Ich bin nicht der, der ich bin, werden wollte, sein werde.“ Ein Buch, das sich im Grunde aus einer Aussage Christoph Schlingensiefs zu entwickeln scheint: „Wer seine Wunden zeigt, wird geheilt, wer sie nicht zeigt, wird nicht geheilt.“ Wir alle haben Wunden, ein Schnösel, der dies nicht zugäbe, und ein Hundsfott, der daraus sein Image basteln wollte. Übrigens hat auch Joseph Beuys einmal gesagt: „Zeige deine Wunde.“ Ein „Entwicklungstagebuch“ soll hier vorgelegt werden, das authentische Ich will „ein Hauptwerk schreiben! Über mein Haupt, das wasserweiche Gehirn“ – auch wenn hier fast ein Kalauer
entstanden wäre, bleibt der Grundtenor ernst und der Autor lebt in der `Wildwechselzeit` der Vorstellungen“, womit der Titel ein wenig erklärt wäre. Und Sternmut wird grundsätzlich: „Wer weiß, was Literatur bedeutet für das eigene ICH des Schreibers. Wer weiß denn, was die Worte sagen wollen, bei aller Verklärung.“ Wenn schon die Schriftsteller nicht ihrer Worte mächtig sind (im Sinne des Wortes sozusagen), wie sehr sind sie dann ausgeliefert der Raffinesse der Interpreten und der Lethargie der Leser und Nichtleser?! Daß wir zum Ausdruck unserer Identität und unseres Weltverständnisses auf Worte angewiesen sind, ist wohl unser Dilemma.
Dabei geht es Sternmut nicht nur um sich, sondern um alle, weil alles zusammenhängt. Man fragt sich, wie ernst oder polemisch er es meint, es scheine ihm, „als müßte die Menschheit geschlossen in Therapie gehen.“
Denn er will auch nicht glauben, daß er der einzige sei, der leidet. Jedenfalls sei er Künstler geworden, um damit besser umgehen zu können. Wie er sich fremd fühlt, sich selbst gegenüber, unter den Menschen. Und eine Vollkommenheit oder ein Glück kann es sowieso nicht geben: „Ich bestehe aus Bruchstücken, unterschiedlichen Kräften.“ Und er kann nichts als sinnvoll erachten. So landet er bei Camus und Sartre: „Ich fühle absurd, denke absurd.“ Und das kulminiert dann in der Aussage: „Ich will, daß ich etwas anderes will, als ich will.“
Sollte es für manchen Zeitgenossen ein Problem sein, daß die Gedanken über den Sinn des Lebens zu anspruchsvoll geraten, so kann man ihn getrost an Sternmut verweisen, der sich zwischenzeitlich auch mal gehen läßt: „Scheiß drauf! Ehrlich gesagt, es war nie mein Ziel, Heiliger zu werden. Dazu bumse ich zu gern und liebe die Existenzphilosophie. Ich bin der Philosoph, der das eine mit dem anderen verbindet.“ Und etwas später: „Ich will weiterhin zumindest einmal im Dasein mit jeder Frau des Planeten geschlafen haben. Ich will … erklären, wie mein Zauberstab in die Wundertüten der Frauen dringt.“ Da muß ich gestehen, das lenkt michetwas ab von der Ernsthaftigkeit der Thematik, und da halte ich es lieber mit Edgar Wallace: „Ein Intellektueller ist jemand, der etwas Interessanteres als Sex gefunden hat.“
Da wir doch beide, Sternmut und ich als sein Edelrezensent, Intellektuelle sind, dazu verdammt sind, welche sein zu wollen, bestürzt und verunsichert mich eigentlich ein irgendwo weiter hinten im Buch versteckter Satz am meisten: „Wenn ich wenigstens wüßte, wer ich nicht bin!“ Boah! Da muß ich meine Tastatur vor mir schützen und kann nur noch dringend empfehlen, dieses Buch erstens zu lesen und es zweitens langsam zu lesen und sich selbst dabei zu beobachten. Mir kam es jedenfalls so vor, als habe Sternmut dieses Buch für mich geschrieben.
Karlyce Schrybr

 



Norbert Sternmut: Sonnwend
Rezension zum Thema Literatur
von Hans Eisel
Norbert Sternmut: SONNWEND
„Der Raubfisch schwimmt im Hirn
eines jeden.“ (S.��
Automarkt, Möbelmarkt, Schnäppchenmarkt, Wochenmarkt, Supermarkt: wir sind umstellt von „Angeboten“ aller Art. Ständig suggeriert uns die Werbung, welche Produkte und Dienstleistungen uns fehlen zum Erfolg, zum Glück –
Kurz vor der Kasse die günstigen Angebote, die wir prüfend in der Hand halten. Kaufen wir sie oder nicht, was bleibt ist das fade Gefühl, wenn wir später nachhause kommen.
Norbert Sternmut findet Worte für die bekannte Gemütslage. Unter dem merkwürdigen Titel „Solidarität der Kreaturen“ steht: … im Fadenkreuz der Schlange/ krümmt sich das Dunkel an den Kassen.“
Das Gedicht endet nach den eingangs erwähnten Raubfischversen so:
„Du stehst in der Masse
zwischen den Jahren, dem hingerichteten
Sortiment, im Verkauf
des letzten Funkens Verstand,
zweifelst am Zustand des Geistes,
vertagst die Wut weltauswärts.“ (S.��
Das „hingerichtete Sortiment“ – von wem ist es hingerichtet und für wen? Zweifel entstehen und Wut, die wir vertagen. Was vertagen wir nicht noch alles? Aber:„weltauswärts“?
Wo soll das denn sein?
Bündelt sich dort die Energie, die es braucht zur Solidarität, zur „Solidarität der Kreaturen“? Wie könnte die aussehen in einer bunt lackierten Warenwelt, in der alles käuflich ist. Der Preis bestimmt den Wert, das Übrige spielt keine Rolle.
Gibt es gar keinen Ausweg? Die Ortlosigkeit des Schlusses kann doch nicht das letzte Wort sein.
Ich mache mich auf die Suche, blättere weiter, suche Halt. Den finde ich zunächst nicht. Weder „Fernreise“ (S. 41), noch „Wanderschaft“ (S. 47), noch „Also geh“ (S. 51), noch „Land unter“ (S. 53) zeigen, wo es langgeht.
Ab Seite 59 gibt es Liebesgedichte, beginnend mit „Sonnwend“.
Auf Seite 79 steht:
„Du lebst und bist gut,
wie Quelle und Glut.
Das Auge, es sieht
tausend Sonnen.“
Der Dichter preist die Geliebte. Das Gedicht trägt den Titel „An den Rand“.
Karl-Heinz Schreiber, der verstorbene Edelrezensent von Norbert hätte vielleicht geschrieben, dass er gerade das so bemerkenswert findet, dass Sternmut sich an traditionelle Themen traut und ihnen Neues entlockt.
Er beschwört die Macht der Liebe. Widersteht sie den Zumutungen und Verlockungen der Konsumgesellschaft? Was für eine konservative Fragestellung! Man könnte „Leuchtkäfer“ (S. 123) und das „Nachwort“ (S. 133) lesen und darauf eine Antwort finden.
Die Identität des Subjekts bröckelt jedenfalls schon seit geraumer Zeit. Seite 69: „der Strohhalm,/ und alles andere,/ was ich tue, verschweige/ und scheinbar bin.“ (Auch das Meer).
Gewissheiten und vermeintlichen Eindeutigkeiten schwinden, vielleicht trügt der Schein. Wie könnte man herausfinden, was dahinter steckt, und ob nicht das eigene Gesicht auch nur eine Charaktermaske ist? Unklare Konstellationen, wie lassen die sich darstellen?
Endlich: Halt (S.81)
Wieder das Spiel mit der Mehrfachbedeutung und dann das zentrale statement: „ Halt mir die täuschende / Welt vom Leib.“
Wieder Flucht, Rückzug in das Idyll der Zweisamkeit gegen die böse Welt?
Man kann den neuen Gedichtband von Sternmut so lesen, möglicherweise liegt gerade darin seine Aktualität. Was bleibt uns anderes als der Entwurf oder der Traum von einer anderen Gesellschaft, und seien sie noch so versponnen und privat? Immerhin verspricht die Liebe einen anderen Umgang miteinander. Einerseits. Andererseits ist lange bekannt, dass die Liebe diese Erwartungen nicht erfüllt. Die Arme ist immer weniger und zugleich mehr, als man erwartet und bleibt eines der Geheimnisse, in deren Umlaufbahn wir kreisen.
Norbert Sternmuts Liebesgedichte sind kein Protest. Wann waren Liebesgedichte das je? So naiv kann niemand sein, dass er das erwartet. Einerseits. Andererseits: wann waren sie es nicht? War die Minnelyrik schon damals nicht auch ein Protest gegen die mittelalterliche Feudalgesellschaft, gegen das brutale Rittertum, gegen das ausgrenzende Standesdenken?
Das ist lange her.
Während ich hin und her blättere und stutze, wenn Norbert von „den Schluchten meines Wunsches“ (S. 85) schreibt, überkommt mich ein Gefühl der Eifersucht – oder ist es Neid? Wie viel Kraft liegt doch in der Geborgenheit dieser Liebe, in der er sich sonnt! Entgrenzt wie im Rausch und doch so nüchtern, dass sie die sogenannte Wirklichkeit ohne einen Hauch von Spott oder Ironie erträgt, sogar mit einem kaum merklichen Nicken des Einverständnisses. „Es ist, wie es ist, sagt die Liebe“, heißt das bei Erich Fried treffend.
Liebe nimmt die Welt, wie sie ist. Sie ist ein Fest, das uns verzaubert. Manche Gedichte schwelgen darin, wie glücktrunkene Gäste. Niemals soll die Party zu Ende gehen. Jede Liebe sehnt sich nach Ewigkeit, denn was bleibt, wenn dieses spezielle Gefühl fehlt? Nichts weiter als ein mickriges Dasein! Diese message ist bekannt seit Urzeiten. Norbert erinnert uns daran auf seine unverwechselbare Art. Dafür sei er gepriesen.
Norbert Sternmut: Sonnwend, Pop Verlag, Ludwigsburg 2014, 138 Seiten, 15,99 €, ISBN 978-3

 


 

Norbert Sternmut: Zeitschrunden
Rezension zum Thema Literatur
von Hans Eisel


Norbert Sternmut: Zeitschrunden


Doch, der Titel klingt nach Sternmut. Der Umschlag zeigt eine vom Autor maskenhaft gezeichnete Balletttänzerin auf schwarzblauem Hintergrund. Ein ungewohntes Erscheinungsbild für diejenigen, welche die vorangehenden Gedichtbände Norbert Sternmuts kennen. „edition monrepos“ heißt die neue Reihe im Ludwigsburger Pop-Verlag, deren zweiten Band ich in der Hand halte. In der kleinen Buchhandlung bei mir um die Ecke gibt es ein Gespräch über die traurigen Verse auf der Rückseite des neuen und noch versiegelten Buchs. Eine Gelegenheit mich als Lyrikkenner aufzuspielen, was der sympathischen Buchhändlerin imponiert, zumindest erweckt sie den Anschein, es sei so. Schließlich bin ich Stammkunde. Großspurig behaupte ich, dass die kühne Wortwahl und kunstvolle Komposition des Dichters sogar dem Schrecklichen eine ungeahnte Schönheit verleiht und es dadurch ertragbar macht. Die pragmatische Frau schaut mich leicht misstrauisch an: will ich sie auf den Arm nehmen? Zu sehr unterscheidet sich mein Pathos von unserer üblichen Plänkelei. Also frage ich sie noch, was sie unter „Zeitschrunden“ versteht und fahre mit dem Fahrrad nach Hause. Den neuen Sternmut lege ich auf den Schreibtisch, öffne eine Flasche Rotwein (Sternmuts Gedichte kann man auch gut mit Kristallweizenbier lesen), gieße ein und blättere neugierig drauf los. Bestimmt ist es angemessen, wenn man auch einen Gedichtband von Anfang bis zum Ende liest, schließlich hat sich der Dichter Gedanken darüber gemacht, in welcher Reihenfolge er die Gedichte anordnet. Manchmal scheint das sogar notwendig, wenn man den „lyrischen Gang der Handlung“ verstehen will, wie zum Beispiel beim „Stundenbuch“ von R.M.Rilke (doch, ich bin belesen), aber das ist mir egal. Ich suche den eigenen, ganz persönlichen Zugang, und der Zufall hilft mir dabei. Probieren wir es: ich schlage auf Seite 95 „Aus Zärtlichkeit“. Schon der Titel gefällt mir. Bei Vers 2 stutze ich „Unterschlupft“? Ist das ein Druckfehler? Es müsste doch Unterschlupf heißen. Egal. Ich könnte, müsste, wollte jetzt nachschauen im Duden, ob es dieses Wort gibt, aber mir fehlt die Lust dazu. Die folgenden Verse versöhnen und inspirieren mich und dann der Schluss – eine Reminiszenz an Peter Rühmkorfs berühmtes „sei erschütterbar und widersteh…“ Unerwartet und in ganz anderem Zusammenhang! Das ist es, was ich bei diesem Dichter liebe (unter vielem anderen): er eignet sich die Tradition an, spielt damit, aber nur scheinbar, tatsächlich bringt er ihre Bedeutung für die Gegenwart auf den Punkt und (er)öffnet damit neue Horizonte. So könnte man das heute lesen/ verstehen. Sagenhaft. „Uns ist in alten mären wunders vil geseit… OK, ich hör schon auf damit. Schauen wir doch mal auf die gegenüberliegende Seite „Besser scheitern“. Nein, das lese ich nicht, doch, doch. Also, schon wieder der zweite Vers „Niemandsbucht“. Peter Handke lässt grüßen ! Diese ewig lange Erzählung, in der nichts passiert. Ein Jahr lang! Gut, ich bin wahrlich nicht der ideale Handkeleser. Was macht Sternmut daraus? „…mit dem Gedanken an dich/ trete ich ab ins Unausweichliche,/ verblute innerlich, leicht“. Ist das ein Liebesgedicht, eine literarische Anspielung oder einfach nur gelungen? Oder alles von dem, ein bisschen oder ziemlich arg? Auch hier wieder ein dreifach donnerndes Egal. Schon der Titel tröstet und ermöglicht die Zumutungen des Lebens mit anderen Augen zu betrachten. „Besser scheitern“ ist provokativ, wenn man es genau bedenkt. Die Leichtigkeit des Untergangs wird besungen, gerühmt in einer erfolgssüchtigen Welt. Halt! Ich möchte widersprechen. Scheitern ist immer schwer. Das weiß Sternmut natürlich und bestreitet es trotzdem, und zwar grundsätzlich. Neben den Psychologen gibt es die Philosophen, die uns den Weg anbieten aus den Krisen, zumindest die interessanten von ihnen. Lyriker werden eher selten um Rat gefragt. Sie fristen ein Dasein im Off. Fast niemand käme auf die Idee in ihren Büchern und Versen Antworten zu finden auf Fragen, die uns bedrängen. Gerade Sternmut bietet sich dafür an. Er formuliert Einsichten in einer unverbrauchten Sprache, die deshalb manchmal unverständlich und schwierig anmutet, weil sie ungewohnt und eigen ist. Er spürt nicht nur, was uns widerfährt, er formuliert es. Wieso er das kann? Keine Ahnung. Er hat geübt, gearbeitet, sich entwickelt, mit uns gelebt und gelitten. Doch, doch, auch sich gefreut und unsere Illusionen geteilt, sonst wären diese Verse nicht so überzeugend. Von Goethe (Pudels Kern, S. 37) bis zu Hannes Wader (Wolkenspiel, S.57) reichen die Anklänge. Hier zeigt er dem Immerunterwegsseienden ein mögliches Ziel: „… hinter den Wolken spielst du/ mit der Muschel,/ dem Fisch an der Angel,/ nimmst ihn mit/ auf deine Weise, bis kein/ Fleisch mehr bleibt.“ Der Dichter schreibt „vom Gemurmel des Zeitschimmels.“ (S. 106), „der grau verspannten Hirnrinde“(S. 26) und dem „Schmerz der Vernunft“ (S.27), alles Themen, die in der gegenwärtigen Literatur etwas vernachlässigt werden. Traian Pop, der Ludwigsburger Verleger, schreibt zu den Bildern Sternmuts in der Zeitschrift BAWÜLON (empfehlenswert!):“ … Wie weit ist eigentlich Sternmut zu trauen? Möchte er uns wirklich etwas erklären, lehren?“ ( Nr 2-3, S. 149) Keine Ahnung, obwohl ich als Kollege tätig bin. Schön und treffend die Formulierung: „Sternmut bleibt sich treu, seiner Art von Grenzüberschreitung ins Niemandsland.“ (S. 149) Der Philosoph Ernst Bloch hätte von Transzendieren ohne Transzendenz gesprochen. Und das Niemandsland, was ist das anderes als U-topia, der Nicht-Ort, den noch keiner betreten hat? Da haben die Ritter den Gral gesucht und die Romantiker die blaue Blume. Sternmut ist weder Ritter noch Romantiker und doch beides zugleich, im verklärten und verkitschten Sinn, versteht sich. Viele Dichter, die er liebt, mag auch ich. Er benutzt ihre Verse, spielt mit ihnen, entlockt ihnen neue Sichtweisen und konfrontiert sie mit der traditionslosen Gegenwart. Eine Methode, die Bert Brecht als Verfremdungseffekt bezeichnet. Aber das trifft es nicht genau. Bei Sternmut handelt es sich eher um eine Aneignung. Noch was verbindet mich mit diesem Dichter, was sich wie ein roter Faden durch seine Werke zieht: der tiefe Glaube an die Vergänglichkeit.
Sternmut, Norbert: Zeitschrunden, Ludwigsburg 2012, 14,80 €
Hans J. Eisel-86356-092-8



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